Menschen im Gespräch: Teil VII


Interview

mit

copyright Professor Wanner



Professor em.
Dr. Dr. h.c. Heinz Wanner


Für dieses Interview ist es mir gelungen, Professor em. Dr. Dr. h.c. Heinz Wanner zu gewinnen. Professor Wanner ist am Institut für Geographie der Universität Bern (Homepage/Universität Bern) tätig. Neben seiner Tätigkeit am Institut für Geographie bekleidet(e) Professor Wanner verschiedene Positionen in nationalen und internationalen Forschungseinrichtungen /-programmen wie z.B. Head of KLIMET Research Group oder President of the Oeschger Centre (Oeschger Centre) und hält momentan den Co-chair im PAGES-Projekt (PAGES). Des Weiteren war Professor Wanner Reviewer für das IPCC-AR4-2007 und wird Review Editor für das IPCC-AR5-2013 sein.

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W.v.B.: Sehr geehrter Herr Professor Wanner, einer der Kritikpunkte am Lamb'schen Konzept einer "Mittelalterlichen Warmperiode" (Lamb 1965, 77, 82)[1] war die scheinbar fehlende Datengrundlage, um für die südliche Hemisphäre verlässlich konkludieren zu können (Cf., Hughes und Diaz 1994; Crowley und Lowery 2000; Bradley, Hughes und Diaz 2003; Jones und Mann 2004)[2]. Hughes und Diaz (1994) verweisen in diesem Kontext auf das "PAGES-Project" (Past Global Changes) (PAGES) und die, dem Projekt zugrundeliegende Maxime, "a better understanding of the nature of climate fluctuation during the last 2000 years" (137) erreichen zu wollen. Seit der Publikation dieses Artikels sind mittlerweile 16 Jahre vergangen.

Ich bitte Sie nun, als ehemaligen Direktor des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung und aktuellen Innehaber des "Co-chairs" des PAGES-Projektes, meinen Lesern und mir einen Überblick über das Projekt und über das, was sich bezüglich der Datenlage (lokal, hemisphärisch, global) in den letzten eineinhalb Dekaden getan hat, zu geben.


Professor Wanner: Obschon die Datenlage gerade auf der Südhemisphäre noch immer ungenügend ist, gibt es keine Zweifel, dass sich während der letzten 10'000 Jahre mehrere wärmere und kältere Phasen abgelöst haben, so in den letzten 2000 Jahren die wärmere Römerzeit, die kühlere Zeit der Völkerwanderungen, die Mittelalterliche Klimaanomalie (engl. Abkürzung: MCA) und die Kleine Eiszeit (engl. Abkürzung: LIA). Ich bevorzuge die Bezeichnung MCA, weil in den Tropen und zum Teil in den Außertropen auch massive Niederschlagsschwankungen aufgetreten sind.


W.v.B.: In einer neueren Publikation - "Mid- to Late Holocene climate change: an overview" (Wanner et al.: Mid- to Late Holocene climate change: an overview, in: Quaternary Science Reviews 27 [2008] 1791-1828) - geben Sie und ihre Mitautoren, wie ich schon in meinem Interview mit Dr. Neukom festgestellt habe,* wohl den ersten systematischen Überblick über den Forschungsstand bezüglich Klimawechsel innerhalb der letzten 6000 Jahre ("In this article we expound a general framework for understanding climate changes during the last 6000 years "[Cf., Ibid., 1793]).

Dabei entsteht für mich der Eindruck, dass auch Sie, wie die meisten Klimawissenschafter mit denen ich mich unterhalten konnte - selbst die Kritiker am Begriff einer MWP konstatieren für die nördliche Hemisphäre, dass die LIA wohl eine der kältesten Klimaperioden in den letzten 12.000 Jahren (Bradley, Hughes und Diaz 2003, 405) war und die Temperaturen in "High Medieval time" (Cf., Ibid.) oder "mean temperatures during this interval" (Crowley und Lowery 2000, 54) höher waren als "during the subsequent Little Ice Age" (Bradley, Hughes und Diaz, Ibid.; Crowley und Lowery, Ibid.) - der Auffassung sind, dass es nunmehr vermehrt Evidenz dafür gibt, wonach die sogenannte Kleine Eiszeit in der Tat von globalem Ausmaß war (Cf., u.a. Wanner: Der Klimawandel in historischer Zeit, 32) (abruf-/downloadbar [pdf-Format, ca. 1 MB] unter: Der Klimawandel in historischer Zeit).

Wie ist der aktuelle Stand der Forschung hierzu, kann man in einem globalen Sinne, jeweils auf einzelne Lokalitäten und Kontinente beschränkt, davon sprechen, dass es für diese Bereiche Evidenz gibt, erstens: für die Existenz einer Kleinen Eiszeit und zweitens: für einen damit einhergehenden Temperaturabfall im Vergleich zu vorangehenden Zeitabschnitten. 


Professor Wanner: Wir haben eine Studie in Arbeit, für die wir alle qualitativ hochwertigen Archivdaten über 10'000 Jahre gesammelt haben. Das globale Bild der für über 40 Standorte ermittelten Temperaturanomalien zeigt, dass zur Zeit der "Mittelalterlichen Warmperiode" tatsächlich an vielen Stationen positive, während der Kleinen Eiszeit jedoch überwiegend negative Temperaturabweichungen aufgetreten sind. Allerdings wurden für mehrere Standorte (zum Beispiel in Nordwesteuropa) während der Kleinen Eiszeit zeitweise positive Temperaturanomalien ermittelt. Die Kleine Eiszeit gehört zweifellos zu den Perioden mit den tiefsten negativen Temperaturanomalien des Holozäns. Das liegt u.a. darin begründet, dass die Einstrahlung im nordhemisphärischen Sommer während des Holozäns immer mehr zurückgegangen ist. Demzufolge würden wir heute ohne die anthropogen bedingte Erwärmung mit hoher Wahrscheinlichkeit noch immer in einer Kühlphase stecken.


W.v.B.: Herr Professor Wanner; ich würde mich freuen, wenn Sie meinen Lesern abschließend ihre Einschätzung bezüglich der Haltbarkeit/Angemessenheit der Lamb'schen "MWP" (lokal, hemisphärisch und global) als Terminus technikus bzw. als Konstrukt zur Beschreibung klimatischer Bedingungen für zugrundeliegenden Zeitraum, mitteilen könnten. 


Professor Wanner: Es gibt kaum Zweifel, dass die "MWP" wärmer war als die vorherige Kühlphase der Völkerwanderungszeit oder die nachfolgende Kleine Eiszeit. Im Moment ist die Forschung damit beschäftigt, die räumliche und zeitliche Struktur dieser warmen Anomalie besser zu verstehen. Wir treffen uns dazu vom 22. - 24. September in Lissabon zu einem internationalen Workshop.


W.v.B.: Ich danke für das Interview!


copyright W.v.B.

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Fußnoten

[1] Lamb (1965): The early medieval warm epoch and its sequel, in: Palaeogeogr., Palaeoclimatol., Palaeoecol. 1: 13-37.
Lamb (1977): Climatic History and the Future, Vol. 2: Climate: Present, Past and Future, Methuen and Co. Ltd., London.
Lamb (1982): Climate, History and the Modern World, Methuen and Co. Ltd., London.
[2] Hughes und Diaz (1994): WAS THERE A 'MEDIEVAL WARM PERIOD', AND IF SO, WHERE AND WHEN?, in: Climatic Change 26: 109-142.
Crowley und Lowery (2000): How Warm Was the Medieval Warm Period?, in: Ambio, Vol. 29 No.1, 51-54.
Bradley, Hughes und Diaz (2003): Climate in Medieval time, in: Science, Vol. 302, 404-405.
Jones und Mann (2004): Climate over past millennia, in: Rev. Geophys., 42, RG2002, doi:10.1029/2003RG000143.
* Leider ist das Interview mit Dr. Neukom zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht verfügbar. Da Professor Wanner in einer seiner Antworten auf den Zeitraum 22. - 24. September verweist, habe ich mich dazu entschlossen, dieses Interview vorzuverlegen.


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